KURZMELDUNG

Negative Emissionen: Grosser Wurf oder leeres Versprechen?

Der Atmosphäre müsste im grossen Stil CO₂ entzogen werden. Ideen und Pilotprojekte dafür gibt es. Um einen echten Beitrag zu einer neutralen CO₂-Bilanz zu leisten, müssten die Massstäbe jedoch um ein Vielfaches grösser werden.

Pilot plant and founders Jan-Wurzbacher and Christoph Gebald by Climeworks Zev Starr Tambor

Auf der Suche nach neuen Waffen im Kampf gegen die Klimaerwärmung schielen Wissenschaftler auf Island im Norden Europas. Dort filtert eine spezielle Anlage eines Schweizer Unternehmens Kohlendioxid (CO₂) aus der Luft. Das Treibhausgas wird gelöst in Wasser 700 Meter tief in den Boden gepresst – und damit dauerhaft der Atmosphäre entzogen. Das klingt nach einer sauberen Lösung, wird aber bislang nur in winzigem Massstab betrieben.

Auf dem Projekt und einer Handvoll anderer Test-Anlagen ruhen grosse Hoffnungen. Denn negative Emissionen – also das Entziehen von CO₂ aus der Atmosphäre – müssen in wenigen Jahren eine grosse Rolle spielen. Kaum ein Modellszenario zum 1,5-Grad- oder 2-Grad-Ziel kommt ohne sie aus. «Es ist unrealistisch, die Klimaerwärmung zu stoppen, ohne der Atmosphäre zumindest etwas CO₂ zu entnehmen», sagt Sabine Fuss vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

Theoretisch enormes Potenzial

Das Potenzial ist in der Theorie enorm. Doch in der Praxis wird der Atmosphäre bislang nur in homöopathischen Dosen CO₂ entnommen. So entzieht die isländische Prototyp-Anlage, die zu den sogenannten DACCS-Verfahren (Direct Air Carbon Capture and Storage) gehört, der Umgebungsluft geschätzte 50 Tonnen CO₂ im Jahr. Sie ist Teil des CarbFix2-Projekts des Schweizer Unternehmens Climeworks und steht auf dem Gelände des Geothermie-Kraftwerks Hellisheidi.

In den nächsten anderthalb Jahren soll laut Climeworks eine grössere Anlage entstehen, die mehrere Tausend Tonnen CO₂ pro Jahr filtern kann. Die kanadische Firma Carbon Engineering will bis zum Jahr 2023 sogar eine Anlage mit einer Leistung von einer Million Tonnen CO₂ im Jahr bauen.

Doch die Menschheit emittiert mehr als 40 Milliarden Tonnen (Gigatonnen) CO₂ im Jahr – ohne erkennbaren Rückgang. Ginge es weiter wie bisher, läge der Temperaturanstieg laut Uno-Umweltprogramm Unep Ende des Jahrhunderts bei 3,4 bis 3,9 Grad. Soll die Erderhitzung hingegen auf 1,5 Grad begrenzt werden, müssen laut Weltklimarat die Netto-Emissionen kontinuierlich sinken, auf null im Jahr 2050.

Text: Valentin Frimmer, dpa

Fotografie: Zev Starr Tambor (Climeworks)

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