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Neuer Elektroden-Typ könnte Blinden helfen

Mithilfe eines neuen Typs von neuronaler Elektrode wollen EPFL-Forschende den Sehnerv stimulieren. Dereinst könnte dies Blinde im Alltag unterstützen. In Tierversuchen erzielten die Wissenschaftler bereits vielversprechende Resultate.

An umbrella, a walking aid and a blind stick in a tray

Rund 39 Millionen Menschen weltweit sind blind. Die Gründe dafür reichen von Unfällen, über Glaukom und Netzhautablösung bis zu Infektionen oder genetischen Defekten. Forschende arbeiten an verschiedenen technischen Lösungen, um Blinden wieder zu einer gewissen Form des Sehens in Form von Lichteindrücken zu verhelfen. Einen neuen Ansatz stellen Forschende um Silvestro Micera und Diego Ghezzi von der ETH Lausanne (EPFL) im Fachblatt «Nature Biomedical Engineering» vor.

Es handelt sich dabei um einen speziellen Typ von Elektrode, mit der sich der Sehnerv stimulieren lässt, wie die EPFL mitteilte. Den Sehnerv zu stimulieren, um visuelle Informationen am Auge vorbei ans Gehirn zu übermitteln, versuchen Forschende bereits seit den 1990er Jahren. Bisher setzte man dafür auf sogenannte Manschetten-Elektroden. Diese hätten aber einige Nachteile, wie die EPFL schrieb: Sie seien steif, bewegten sich und führten deshalb zu sich ständig ändernden visuellen Eindrücken, die für die Patienten schwer zu interpretieren seien.

Anders sieht es bei den nun vorgestellten intraneuralen Elektroden aus: Anstatt den Nerv zu umschliessen, durchstossen sie den Nerv. Sie seien stabiler und bewegten sich weniger, wenn sie einmal implantiert seien, hiess es.

Spezifische Signale

Ghezzi, Micera und ihr Team von der EPFL und der Scuola Superiore Sant'Anna entwickelten ein Array aus 12 Elektroden, das sie OpticSELINE nennen. Die Elektroden sollen die verschiedenen Nervenfasern im Sehnerv stimulieren. Das System testeten sie an Kaninchen, indem sie die implantierten Elektroden aktivierten und die Hirnaktivität der Tiere beobachteten. So konnten sie nachweisen, dass sich mit den einzelnen Elektroden spezifische Signale übermitteln lassen.

Noch ist nicht klar, welche visuellen Eindrücke das Elektroden-Array vermittelt. «Bisher wissen wir, dass die intraneurale Stimulation das Potenzial hat, informative visuelle Muster zu erzeugen», erklärte Ghezzi gemäss der Mitteilung. «Es wird Rückmeldung von Patienten in künftigen klinischen Studien brauchen, um diese Muster genau abzustimmen.» Rein aus der technologischen Perspektive könne man bereits morgen mit klinischen Studien beginnen.

Für den Einsatz beim Menschen könnte OpticSELINE aus 48 bis 60 Elektroden bestehen, schrieb die EPFL. Mit dieser limitierten Anzahl liesse sich das Sehvermögen nicht komplett wieder herstellen. Die vermittelten visuellen Eindrücke, könnten aber zumindest eine Hilfestellung im Alltag sein.

Lichteindruck ohne Licht

Eine weitere Möglichkeit, Blinden zumindest zu einer rudimentären Form des Sehens zu verhelfen, wäre beispielsweise die Stimulation des visuellen Cortex des Gehirns. Die Implantation von Elektroden im Gehirn ist jedoch mit gewissen Risiken verbunden. Eine andere Möglichkeit sind Retina-Prothesen, an denen verschiedene Unternehmen und Forschungsinstitutionen arbeiten. Allerdings ist der Einsatz solcher Prothesen aus medizinischen Gründen nur bei einem Bruchteil der Patienten möglich.

Intraneurale Elektroden kämen wahrscheinlich für eine Vielzahl Betroffener in Frage, da in den meisten Fällen der Sehnerv und damit der Pfad ins Gehirn intakt ist.

Ziel all dieser Ansätze ist, sogenannte Phosphene zu erzeugen: Lichtwahrnehmungen in Form weisser Muster, die nicht durch Licht, sondern durch andere Reize erzeugt werden. Ein Alltagsbeispiel für Phosphene sind die Lichtblitze, die man sieht, wenn man auf den Augapfel drückt.

Text: sda

Fotografie: keystone

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